Lebensbericht von Esther Erni

Esther heisse ich und bin 1976 gesund geboren worden. Ich habe mich vorerst ganz normal entwickelt. Neben den unzähligen Blauringstunden und -lagern war ich eine richtige Wasserratte. Sport wie das Geräteturnen, Skifahren, Wandern, Rollschuh- und Velofahren gehörten oft zu meinen Freizeitaktivitäten. Schlittschuhlaufen hab ich jedoch nie gemocht.

Als etwa Dreizehnjährige fielen meinem damaligen Lehrer Veränderungen an mir auf, was ihn für mich extrem unsympathisch werden liess. Die Handschrift veränderte sich, die Aussprache wurde unpräzis und 80-Meter-Läufe im Turnunterricht wurden bereits von Stolperstürzen unterbrochen. Ebensolche Stolpereien unterliefen mir beim Vitaparcours…

Die grosse Verunsicherung begann also quasi zeitgleich mit der Pubertät!

Im Skilager wurde ich plötzlich der schwächsten Gruppe zugeteilt, fühlte mich jedoch bei den Anfängern wohl und nicht überfordert. Das Geräteturnen gab ich «freiwillig» auf. Dem Blauring blieb ich auch als Leiterin noch lange treu, bis ich letztendlich in die Freizeit- und Lagergestaltung für Mehrfachbehinderte wechselte. Auch diesen Job hängte ich «freiwillig» an den Nagel, weil meine eigene Instabilität mich beim Führen anderer zunehmend irritierte. - Nur beim Musizieren im Flötenorchester, in der Jugendmusik und vor allem Daheim fand ich Ruhe.

Irgendetwas kann nicht stimmen! Wenn dies bloss keine Vorboten einer unheilbaren Krankheit sind…

Im Alter von 18 Jahren landete ich nach unzähligen unklaren Knickstürzen auf Treppen zu ersten stationären Abklärungen in einem neurologischen Unispital. Ohne dort eine Diagnose erhalten zu haben, verliess ich dieses einige Tage später wieder.

Also doch kein Hirntumor, aber was dann?

Meine gesundheitlich bedingten Abwesenheiten nahmen solche Ausmasse an, dass ich in der Folge meine Gymnasialzeit «freiwillig» vorzeitig beendete. Die Motivation, all das Verpasste nachzuarbeiten, fehlte. Ein Spitalpraktikum sollte Licht in meine Berufswahlfrage bringen. Jedoch wurde ich auch dort auf mein auffälliges Gangbild aufmerksam gemacht, mit der Empfehlung, dem erst einmal genauer nachzugehen.

Super!

Schlussendlich plagten mich während meiner Ausbildung zur Medizinischen Masseurin Fuss-, Knie- und Fingerverletzungen, welche aus teils verhinderten Stürzen und weiteren Sportunfällen resultierten. Das praktische Arbeiten im Stehen stellte mich somit vor hartnäckige Knie- und Hüftbeschwerden, welche stationäre Abklärungen nach sich zogen. Die anfänglich erlösende Diagnose FA erhielt ich 1998.

Endlich gibt's einen Namen, schwarz auf weiss, der für alle meine Probleme dasteht.

Darauf folgten zuerst wissbegierige, später ernüchternde und danach oft auch autoagressive Momente. Der Kampf im Versicherungsdschungel ist kräfteraubend. Die starke Ermüdbarkeit und das sich zunehmend verschlechternde Gleichgewicht im Stehen zwangen mich zu einer sitzenden Tätigkeit wie dem KV.

Neben dem Zeitaufwand für Therapien und Alltagsbewältigung schwand allmählich die Energie, privat unter der Woche, an den Wochenenden oder in den Ferien noch viel zu unternehmen oder Kontakte zu pflegen. Die Lebensqualität sank, die Stürze, der Frust und die Beschwerden nahmen zu.

So rollte der auch von mir möglichst lange gemiedene Rollstuhl doch unweigerlich in mein Leben ein…

Ende 2008 habe ich mein restliches Arbeitspensum im Büro vollends eingestellt und geniesse inzwischen alle Vorzüge des Renten-Daseins. Mit meinem Auto, Rollstuhl und dem Swiss-Trac bleibe ich mobil, fahre oder fliege in die Ferien. Regelmässig gehe ich zum Reiten, zur Physiotherapie, zur Logopädie und einmal jährlich für drei Wochen in die Reha.

So geniesse ich meine Zeit, weil für mich mein Leben lebenswert geblieben ist!

Esther Erni, 19. Februar 2012